In einem Brief an seinen Bruder Theo beschreibt Vincent van Gogh die Wirkung, die rot und grün aufeinander haben; sie verstärken sich gegenseitig und hellen einander auf, meint der Maler. Auch in den Bildern von Mark Rothko findet man viele Beispiele für die Wechselwirkung zweier oder mehrerer Farbfelder, wobei rot und grün oft zu sehen sind. Es sind auch die ersten Farben, die in jeder Sprache vorkommen, sie gehen nämlich einerseits auf die grüne Umgebung (Pflanzen, Bäume) und anderseits auf das menschliche Blut zurück. Rote Farbe wird oft aus Pflanzenwurzeln oder Cochenille gewonnen, grün hingegen aus Indigo oder aus der Ampferpflanze. Wer schon mal selber versucht hat Wolle oder Stoff zu färben, der weiss, dass „eine Farbe“ nicht einfach so, plötzlich, entsteht und auf das Material übertragen wird, wie man es in einer Fabrik macht. Das, was wir in diesem Fall Farbe nennen, ist das Resultat eines langen Prozesses, bei dem man tagelang diesen oder jenen Farbton aus Wurzeln, Kernen, Rinde oder Blättern extrahiert und einzufangen versucht, wobei oft noch andere Farbtöne mitspielen. Diese Vorgehensweise ist der Art, wie Mark Rothko malte, sehr ähnlich. Er bevorzugte ganz flüssige Farben, die er in unzähligen Schichten übereinander malte, so dass die rote Farbe an der Oberfläche noch viele andere Farben in sich trägt. Die Ähnlichkeit dieser Farbschichten bei Rothko und Pflanzenart en hat mich bei meiner Farbwahl inspiriert.
Als ich diesen Sweater zu stricken begann (man fängt unten an), habe ich es fast bereut, dass ich ihn nicht ganz grün gemacht habe, denn die Tiefe dieser Farbe hat auf mich sehr stark gewirkt. Da ich jedoch mit Wolle, die mit Pflanzenextrakten gefärbt ist, gearbeitet habe, wäre es gar nicht möglich gewesen, so viel grün aufzutreiben. Die Färberin nämlich, die diese Wolle herstellt (Mette Mehsen heisst sie), hat nicht immer so viele grüne Farbtöne im Sortiment. Also musste noch eine Farbe her, und es war für mich von Anfang an klar, dass es rot sein wird. Um dem Gewebe eine Festigkeit zu geben, habe ich immer zwei Fäden zusammengehalten: Mohair (auch grün und rosa-rot-bräunlich) und die erwähnte Wolle in Lace Qualität (sehr sehr dünn, fast schon ein Faden wie zum Sticken). Die Lace Wolle gibt es in kleinen Bällchen (ca 70m), so dass man zwischen verschiedenen Farbtönen wählen kann. Dies war für mich der schönste Teil der Arbeit: die sanften Übergänge und Wechsel von hell zu dunkel, von grün zum Indigoblau, von sanftem rosa zu rostigem rot und dann wieder zurück zu orange. Und obwohl man für den ganzen Pulli etwa 1600m (in meinem Fall x2) Wolle braucht, muss ich sagen, dass es ein richtiges Sparmodell ist. Womöglich liegt es auch daran, dass man meistens nur rechte Masche strickt, die bekanntlich am wenigsten Wolle pro Fläche verbraucht. Auch habe ich alle Farbreste für die Ärmel aufbrauchen können, so dass fast nichts übriggeblieben sind.
Dies ist beinahe das Original des Soiree Sweater von Emily Foden mit ein paar kleinen Änderungen. Um dem ganzen Aufwand gerecht zu werden und um möglichst viel Farbwechsel zu haben, beschloss ich den Pulli vorne und hinten gleich zu machen, er hat also keinen richtigen Halsausschnitt, was aber nicht stört, da die Halsöffnung gut gelungen ist. Nach Lust und Laune kann ich also mal die eine oder andere Seite vorne tragen, wobei auch die Ärmel wechseln: mal ist grün links und bläulich rechts oder umgekehrt. Es ist zwar ein sehr leichtes Sommermodel (Gesamtgewicht 250 Gramm), doch wahrscheinlich werde ich es nur morgens und abends tragen, denn pflanzengefärbte Wolle darf man nicht allzu sehr direkter Sonne aussetzen. Vielleicht ziehe ich es sogar nur gelegentlich an, damit es nicht schnell abgenutzt wird, doch dies ist eigentlich unmöglich, denn der Pulli ist so traumhaft weich und leicht und dennoch warm, dass ich es schon jetzt ganze Tage anhabe. Doch auf jeden Fall werde ich es anziehen, wenn ich - zum Beispiel in ein Museum - Rothkos Gemälde anschauen gehe!
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